Redebeitrag bei Gegenprotest gegen Querdenken am 10.01.2022

Am Montag den 10. Januar 2022 haben wir auf dem Gegenprotest gegen die verschwörungsidologischen “Querdenken”-Aufmärsche eine Rede gehalten, deren Inhalt wir hier dokumentieren:

Graffiti: Fight Querdenken
Das System ist gemein, aber nicht geheim. Fight Querdenken!

Wir befinden uns im dritten Jahr einer gefährlichen Pandemie. Das heißt, wir müssen uns immer wieder mit steigenden Infektionszahlen und neuen Virus-Varianten herumschlagen. Gleichzeitig beobachten wir ein Versagen in “der” Politik, die wirtschaftliche Interessen mal wieder über Menschenleben stellt, wissenschaftliche Erkenntnisse oftmals ignoriert oder instrumentalisiert und auf die Krise weitgehend nur mit spießbürgerlicher Symbolpolitik reagiert. Entweder gibt es autoritäre Antworten, die hauptsächlich sozial und finanziell benachteiligte Teile der Bevölkerung treffen, oder Maßnahmen, die im neoliberalen Sinn an die sogenannte Eigenverantwortung der Bürger*innen appellieren.

Nun können Krisen immer als Chance gesehen werden, um aus vergangen Fehlern zu lernen und um etwas besseres entstehen zu lassen. Und ja, auf den Straßen wird protestiert. Doch leider nicht für einen solidarischen Weg aus der Krise. Die Debatten um mögliche politische Maßnahmen werden von Fake-News, rechte Propaganda und Verschwörungszählungen dominiert. Die Menschen gehen gegen 3G oder 2G, gegen eine vielbeschworene „Spaltung der Gesellschaft“ oder gegen „die da oben“ auf die Straße. Sie denken sie Kämpfen gegen eine vermeintliche Diktatur. Teile von ihnen lehnen Impfungen und wissenschaftlich-basierte Medizin allgemein ab oder sie leugnen gleich die Existenz der Pandemie. Ihr seht, die Themen auf diesen Protesten sind vielfältig. Nur für das gute Leben für ALLE scheint kaum jemand das Haus zu verlassen… Aber ist gibt neben all den Unterschieden auch etwas, was die aktuellen Proteste alle gemeinsam haben.

Die erste Gemeinsamkeit: Durch den massiven Zulauf bei den Protesten kommt es zu einer merklichen Radikalisierung. “Wer mit 1.000 Menschen auf die Straße geht, fühlt sich in der Mehrheit. Wenn es plötzlich der Nachbar ist, mit dem man zusammen demonstriert, fühlt man sich zusätzlich bestärkt” (Pia Lamberty). In den dazugehörigen Telegram-Gruppen wird sich stark um Vernetzung abseits der größeren Demonstrationen bemüht. Es entstehen Untergruppen, Regionalgruppen und Stadtteilgruppen. Das heißt, die Mitglieder verabreden sich auch abseits der großen Termine für ihre „Spaziergänge“. Es geht explizit darum, sich für den “Tag X” zu vernetzen, oder falls Telegram die ganzen Chatgruppen löscht. Die Teilnehmer*innen fühlen sich durch das Gerede von einer imaginierten “Corona-Diktatur” bestärkt. Sie schaffen eine politische Endzeiterwartung und denken im “Jetzt oder nie”. Dies wiederum nutzen sie, um ihre, teilweise auch gewaltvollen, Aktionen zu rechtfertigen. Denn was sollte gegenüber einer nahenden Diktatur nicht gerechtfertigt sein? Und hier kommen wir wieder ins Spiel. Diese gefühlte Ermächtigung muss gebrochen werden. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir heute hier sind und dem selbsternannten Volk zeigen, dass sie eben nicht die Mutigen sind, die für eine schweigende Mehrheit sprechen. Dass sie eben nicht die Mehrheit sind, keine Vollstrecker*innen eines imaginierten Volkes, keinen Held*innen die durch die Weigerung des Maskentragens ein autoritäres System stürzen.

Nun zur zweiten Gemeinsamkeit. Die Proteste stützen sich, wer hätte es anders gedacht, stark auf extrem rechte Strukturen. Das heißt, sie werden von Akteur*innen der extremen Rechten mit organisiert, koordiniert, beworben, besucht, geprägt und radikalisiert. Dies ist auch hier in Duisburg der Fall, wo man sich nach außen durchaus Mühe gibt einen rechtsradikalen Eindruck zu vermeiden. So nennt der Organisator Stefan Brackmann beispielsweise die extrem rechten „Freien Sachsen“ als Vorbild und wähnt sich im “Widerstand”. Organisator Dennis Straub war früher schon Strippenzieher von Pegida und beklatscht Holocaustrelativierungen und Organisator “Marko” benutzt antisemitische Codes und verbreitet haarsträubende Falschinformationen. Auf den Demos tummeln sich militante Neonazis aus dem Umfeld von Pegida und Die Rechte und bedrohen Journalist*innen und politische Gegner*innen. Aber an dieser Stelle sei noch gesagt, dass die extreme Rechte die Demonstrierenden gegen die Corona-Schutzmaßnahmen keinesfalls verführt hat, sondern , dass die extreme Rechte sich nur angedockt hat und die ideologischen Lücken füllt. Dass die rechten Aktivist*innen den gebotenen Raum nutzen um ihre menschenverachtenden Positionen zu normalisieren, sie anschlussfähig zu machen und die anderen Teilnehmer*innen zu radikalisieren. Und hier wird wieder deutlich, weshalb unser Gegenprotest heute so wichtig ist. Wir müssen zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen und Betroffene der Einschüchterungsversuchen helfen, weiter aktiv zu bleiben. Wir wollen den Teilnehmer*innen des Protests vor Augen halten, dass sie nicht die Verfolgten einer Diktatur sind, sondern dass sie Neonazis und Faschist*innen unterstützen, die nichts lieber täten als eine echte Diktatur zu errichten.

Und damit sind wir bei der dritten Gemeinsamkeit der aktuellen Proteste: dem Antisemitismus. Und nicht das hier Unklarheiten entstehen, der Antisemitismus ist nicht einfach plötzlich da, er war nie weg. Er schlummerte in der Gesellschaft, wurde hinter vorgehaltener Hand weitergegeben. Neu ist nur, dass er sich so offen und so laut äußert. Er ist das perfekte Bindeglied zwischen der vermeintlich politisch neutralen Mitte der Gesellschaft und der extremen Rechten. Der Antisemitismus äußert sich in den immer wiederkehrenden unpassenden Vergleichen der Ungeimpften als den „neuen Jüdinnen und Juden“, in den Selbstinszenierungen als „Widerstandskämpfer*innen“, im Gerede von Diktatur, “den globalen Eliten”, dem “Great Reset” und dem Impf-Genozid. Antisemitismus ist in den Verschwörungserzählungen selbst angelegt. Sie handeln stehts von einer kleine Gruppe an geheimen, supermächtigen und zugleich niederträchtigen Menschen. Es gibt Sündenböcke, die alles, was auf der Welt geschieht, planen und steuern. Diesen vereinfachten Welterklärungen gilt es ein analytisches und selbstreflektierendes Denken entgegenzusetzen. Ein Denken, dass Autoritäten hinterfragt und nicht nur das Problem auf geheime Logen verschiebt. Ein Skeptizismus, der vor den eigenen Überzeugungen nicht halt macht. Ein Denken, dass wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptiert. Und vor allem ein solidarisches Denken – und Handeln.

Als radikale, emanzipatorische Linke können wir uns nicht darauf ausruhen, uns impfen zu lassen und uns in der globalen Krise möglichst persönlich verantwortungsvoll zu verhalten. Die Einschränkungen von bestimmten Grundrechten müssen kritisch beobachtet werden. Autoritäre Polizei- und Versammlungsgesetze müssen bekämpft und verhindert werden. Durch die Krise verschärfen sich die sozialen Ungleichheiten gerade massiv, hier müssen wir aktiver sein!

Gegen kapitalistische Verwertung des Gesundheitssektors und gegen Impfpatente, gegen die Abschottung Europas und für offene Grenzen und für sichere Fluchtwege, gegen den körperlichen und psychischen Raubbau an Pfleger*innen, Arbeiter*innen, Eltern und allen anderen, die besonders unter der Krise leiden. Wir müssen uns solidarisch organisieren, um unsere Forderungen durchsetzen zu können und um die Lasten der Krise gerecht zu verteilen!

Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft, in der für alle gesorgt wird und wir alle ohne Angst unterschiedlich sein können.

Sharepic des Gegenprotestes
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