Selbstverständnis

Wir sind F.I.R.S.T. AID, die im Mai 2021 gegründete Antifaschistische Initiative Duisburg. Auch wenn der Name das nahelegt, haben wir uns nicht der klassischen Erste Hilfe verschrieben und stehen auch nicht als Demosanis oder ähnliches zur Verfügung.
Dennoch verstehen wir uns als Gruppe, die die rassistische, sexistische, klassistische Normalität in Deutschland kritisiert und hier “Erste Hilfe” leisten möchte. Sei es in Form von öffentlichem Gedenken, Vorträgen oder Störaktionen, um Nazis das Leben schwer zu machen.
Doch warum dann der Name F.I.R.S.T. AID? Das F.I.R.S.T. steht für feministisch-intersektional-radikal-solidarisch-traditionskritisch.
Wenn ihr wissen wollt, wie wir diese hochtrabenden Wörter füllen, dann lest es gerne nach. Vorher sei noch angemerkt, dass wir teilweise aus Büchern zitieren. Das machen wir nicht, um zu zeigen wie ach so schlau wir sind. Wir wollen dadurch lediglich deutlich machen, dass wir durch viele verschiedene Denkanstöße zu unserem momentanen politischen Standpunkt gekommen sind. Außerdem müssen wir das Rad ja nicht neu erfinden.

Feministisch – Wir bekennen uns zum Feminismus. Soll heißen, dass wir einerseits ganz konkret im Kleinen versuchen innerhalb der Gruppe feministisches Handeln umzusetzen. Andererseits wollen wir im Großen für eine befreite Gesellschaft kämpfen. Ja, wir wollen das Patriarchat zerschlagen! Und ja, wir wollen eine Gesellschaft, in der alle Menschen sein können, wie sie wollen, ohne dass sie von Geschlechterrollen eingeschränkt und begrenzt werden. Das klingt nach einem hohen Anspruch… Deshalb fangen wir bei uns selbst an und überdenken unser Alltagshandeln: Wem werden in der Gruppe welche Aufgaben zugetraut? Wer bekommt Aufmerksamkeit geschenkt, wenn er*sie redet? Wer wird häufiger unterbrochen? Wer putzt nach einer Veranstaltung das Klo? Wer kümmert sich um Verpflegung? Wer übernimmt nach einem stressigen Demotag die Care-Arbeit?
All diese Alltagsfragen zählen für uns zur feministischen Praxis. Doch unsere Utopie endet hier noch lange nicht: Wir wollen die freie Entfaltung der Menschen, unabhängig vom zugeschriebenen und/oder selbstgewählten Geschlecht. Wir wollen, dass alle Menschen die Freiheit haben sich zu entscheiden, wie sie leben wollen, ohne ständig als Mann, Frau oder in einer anderen Geschlechtsrolle performen zu müssen, denn das bedeutet Arbeit und Stress. Wir wollen Macker in ihre Schranken weisen, aufgezwungene Schönheitsideale aufbrechen, der gesellschaftlichen Übersexualisierung von vor allem weiblichen Körpern entgegentreten, Sorgearbeit gerecht verteilen und vieles mehr! Wie Margarete Stokowski in ihrem Buch “Untenrum frei” (2018, Seite 10) schreibt: “Es wird um Sex gehen und um Macht, aber auch um Angst, Scham und Gewohnheit, um Spaß und Tabus. Und natürlich auch um Liebe. Und um Arbeit und Arbeit aus Liebe.” Wir wollen das schöne Leben für alle und mit allen Freiheiten, solange sie niemandem anderen die Freiheit beschneiden. Natürlich klingt das in den aktuellen Zeiten nach einer unerreichbaren Utopie… dennoch – wir wollen gemeinsam für den Feminismus fighten. Und wir fangen im Kleinen damit an.

Feminismus ist jedoch nur ein Aspekt, welcher unser Meinung nach zu einem schönen Leben für alle führt. Feminismus kann nicht losgelöst von anderen gesellschatlichen Entwicklungen betrachtet werden. Neben (Cis-)Sexismus, Misogynie (Frauen*feindlichkeit), Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit gibt es noch viele weitere Diskriminierungsformen. Sie wirken alle zusammen und müssen alle zusammen weg. Das bringt uns auch schon zum I in F.I.R.S.T..

Intersektional – Ein weiteres Ziele ist, Diskriminierungsformen zu erkennen und zu bekämpfen. Dazu zählen zum Beispiel Diskriminierungen aufgrund von Aussehen, (von außen zugeschriebener) Herkunft, Klasse, Glaube, geschlechtlicher Identität, sexuellen Vorlieben, Körper, Behinderung oder Alter (und vielem anderen, denn diese Liste wächst ständig).
Unser Anspruch ist es, verschiedene Diskriminierungsformen nicht gegeneinander auszuspielen oder sie zu hierarchisieren (werten). Denn ein und die selbe Person kann je nach Situationen von Diskriminierungen betroffen sein und/oder auch Privilegien genießen.
Intersektionalität beschreibt für uns demnach das Zusammenwirken von verschiedenen Formen von Diskriminierung und hängt immer mit unterschiedlichen Zugehörigkeiten (Frau*, Mann*, weiß, Schwarz, homo, hetero etc.) zusammen. So beschreibt Alice Hasters in ihrem Buch „Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ (2020, Seite 35) Intersektionalität wie folgt: “Weil Diskriminierungsformen oft nur separat voneinander betrachtet werden, wird die Erfahrung von Mehrfachdiskriminierten häufig übersehen. Meine Perspektive als Schwarze Frau ist insofern intersektional, als ich von Sexismus und Rassismus betroffen bin. Die beiden Dinge gehen Hand in Hand, ich kann sie nicht trennen. Ich erfahre sexistischen Rassismus, rassistischen Sexismus.”

Was bedeutet dies für unsere alltägliche Praxis? Um es mit Sannik Ben Dehlers (Scham umarmen, 2020, Seite 69) Worten auszudrücken: “Zu privilegienbewusstem und diskriminierungskritischen Handeln gehört für mich, sich aktiv zu informieren und zuzuhören, um Situationen erkennen zu können, gegen die ich einschreiten möchte.” Indem wir uns also theoretisch wie praktisch weiterbilden und reflektieren, arbeiten wir an uns selbst, um eigenes diskriminierendes Verhalten abzubauen. Außerdem wollen wir mittels politischer Bildung, Organisierung und direkter Intervention auf die Gesellschaft einwirken und somit Diskriminierungen im öffentlichen Raum entgegenwirken. In unseren Analysen wollen wir einzelne Diskriminierungsformen nicht isoliert voneinander betrachten, sondern ihre Verwobenheiten benennen und aufzeigen. Und das finden wir schon ganz schön radikal.

Radikal – Eine zentrale Aufgabe von Antifa-Gruppen ist der altbekannte Abwehrkampf gegen neonazistische, faschistische und autoritäre Angriffe auf die emanzipatorische (befreite und autonome) Gesellschaft. Auch wenn wir wirklich besseres zu tun hätten, müssen wir uns gegen eine autoritäre Politik der Gewalt, Repression, Verdrängung und Überwachung wehren. Die Organisation von antifaschistischem Selbstschutz ist dafür zentral. Aber wir wollen nicht nur Nazis von den Straßen fegen, wir wollen dem Problem an die Wurzel (lateinisch: “radix”, daher das Wort “radikal”). Dafür wollen wir eine Sichtweise einnehmen, die auch die ökonomischen und ideologischen Grundlagen unserer Gesellschaft miteinbezieht und eine radikale Perspektive entwickeln, aus der sich radikale Handlungen ergeben. Das bedeutet, dass wir den kapitalistischen Normalzustand mit seiner allumfassenden Verwertungslogik, seiner abgrundtiefen Menschenverachtung und seiner rigiden bürgerlichen Ideologie als Ganzes kritisieren. Denn die Angriffe auf die Freiheit, auf die Emanzipation und auf das gute Leben für alle kommen nicht nur von den klassischen Prügelnazis oder den faschistischen Anzugträger*innen. Sie kommen tief aus der sogenannten “Mitte der Gesellschaft”, von CDU/CSU über SPD zu BILD, vom Verfassungsschutz über die Polizei zum Schützenverein, vom Arbeitgeber*innenverband über die Immobilienmakler*in bis hin zu deinen Vorgesetzten. Wir wollen keine Reform dieser Gesellschaft – wir wollen eine Welt, in der alle frei und verschieden sein können! Und ja, das klingt nach viel… aber ja verdammt, wir wollen auch viel! Und das wird uns ohne ein solidarisches Miteienander nicht gelingen.

Solidarisch – Wir wollen gemeinsam gegen erlebte Ohnmacht und Vereinzelung aktiv sein. Oder wie Adorno (ja, ja, auch wenn hier Leute die Augen verdrehen führen wir ihn trotzdem an) schreibt: „Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ Und auch wenn es pathetisch klingt, die Solidarität ist und war schon immer die stärkste Waffe der Machtlosen (auch wenn wir damit nicht sagen wollen, dass wir komplett machtlos sind). Also, was wollen wir? Wir wollen uns vernetzen und organisieren. Wir wollen uns in soziale Kämpfe einbringen, wo wir es können, um gemeinsam unsere politischen Ideale in der Praxis zu erproben. Wir wollen rücksichtsvoll miteinander und mit uns selbst umgehen und eine Fehlerkultur ermöglichen, in der wir gemeinsam lernen können. Wir wollen uns durch Wort und Tat solidarisch zeigen. Sei es durch Redebeiträge, Analysen oder aktives Handeln. Manchmal zählt dazu auch selbst zu schweigen, zuzuhören und anderen das Wort zu überlassen.
Wir wollen uns mit verschiedenen Kämpfen für Emanzipation, Freiheit und Selbstbestimmung solidarisieren. Denn wir glauben daran, dass wir Verbündete sein können, auch wenn es nicht immer unsere Kämpfen sind. Dennoch wollen wir an dieser Stelle anmerken, dass wir eine Querfront selbstverständlich ausschließen. Es gibt immer Positionen, sei es beispielsweise Antisemitismus oder Antifemisnismus, die einen solidarischen Umgang verunmöglichen. Das hat die Vergangenheit schon mehrfach gezeigt…

Traditionskritisch – Kommen wir nun langsam aber sicher zu dem Ende unserers Selbstverständnisses. Wir verstehen uns als traditionskritisch und das nicht nur, weil uns unter T. nichts besseres eingefallen ist. Mit traditionskritisch meinen wir mehr, als dass wir Traditionen wie das Oktoberfest oder die immer noch bekannte „Brautentführung“ ablehnen.
Wir wollen auf bestimmte Kontinutitäten in Deutschland aufmerksam machen und ihre Wirkungen bis in die Gegenwart aufzeigen. Dazu zählt vor allem die Kontinuität von rechter Gewalt und Rassismus. Wir wollen darauf aufmerksam machen und uns an die teilweise vergessenen und/ oder verdrängten Opfern von rechter Gewalt erinnern. Wir wollen auf die Rolle der Polizei und den Geheimdiensten, wie dem Verfassungsschutz, aufmerksam machen. Sie tauchen immer wieder im Kontext von rechter Gewalt auf und sind in diese verstrickt. Dabei wollen wir nicht nur auf bestimmte Berufsgruppen oder die extreme Rechte verweisen, sondern auch aufzeigen, wie die immer wieder beschworene „Mitte der Gesellschaft“ in der Aufrechterhaltung von Rassismus und Diskriminierung verwoben ist. Hierfür müssen wir nicht auf die Spitze des Eisberges, wie auf Pogrome in Rostock-Lichtenhagen oder Heidenau, schauen. Es reicht ein Blick auf den alltäglich stattfindenden Rassismus zu werfen. Sei es in Insitutionen, auf der Straße oder im gesellschaftlichen und medialen Diskurs.
Wir wollen uns auch kritisch mit der deutschen, oft hochgelobten, Erinnerungskultur auseinandersetzen und all ihre Leerstellen benennen. Wir wollen unser Wissen und auch unsere eigenen, innerlinken Traditionen kritisch hinterfragen. Denn wir wollen nicht, dass alles so bleibt wie es ist, nur weil es immer schon so war. Denn wir wissen, sowas kommt von sowas… Wir wollen, wie im gesamten Text hoffentlich deutlich wurde, nichts weniger, als eine ganz andere Gesellschaft.

Letzten Endes geht es nicht primär darum mit welchen „Kampfbegriffen“ und Schlagwörtern wir die Buchstaben F.I.R.S.T. füllen.
Es geht vielmehr darum, wie wir handeln und wie wir im Alltag miteinander umgehen. Wir wollen vieles und wissen, dass wir von unseren Ansprüchen teilweise noch meilenweit entfernt sind. Aber wir werden uns immer mehr dem annähern, was wir utopisch vor Augen haben.
In diesem Sinne, lasst uns gemeinsam für die befreite Gesellschaft einstehen – feministisch, intersektional, radikal, solidarisch und traditionskritisch!

Wir sehen uns auf der Straße, auf der Lohnarbeit, in der Nachbar*innenschaft, auf einem Plenum, einem Vortrag, vielleicht auch am Tresen oder auf der nächsten Party.