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Ein paar antifaschistische Gedanken zu Verschwörungserzählungen

[CN: Rassismus, Antisemitismus, Gewalt-Schilderungen v.a. in den Screenshots]

 
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 ist ein massiver Anstieg an Verschwörungserzählungen zu verzeichnen. Erscheinen einige dieser Mythen auf den ersten Blick vielleicht noch plausibel, so erweisen sich die meisten spätestens auf den zweiten Blick als komplett abstrus. Sie schwirren durch Social Media Kanäle, werden in Telegram-Gruppen geteilt und auf Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen weitererzählt. Über diese oft als “Spaziergänge” verharmlosten Aufmärsche wurde schon viel debattiert, geschrieben und veröffentlicht, so etwa die Broschüre “Mobilisierbare Deutsche” von den Genoss*innen aus Münster,  aber auch Texte von uns. In unserem letzten Text haben wir z.B. die Verstrickungen der Duisburger Proteste in die extreme Rechte Szene hervorgehoben. Nun wollen wir darauf eingehen, warum die verschwörungsgläubigen Gruppen und Milieus, die dort entstanden sind, auch dann gefährlich sind, wenn militante und organisierte Neonazis fernbleiben. 
 
Spoiler: wir sind der Meinung, dass die Verbreitung von verschwörungsidologischer Propaganda eingedämmt werden muss. Dies ist sowohl durch antifaschistische Aufklärung möglicher “Zielgruppen” und “Einsteiger*innen” ins verschwörungsgläubige Milieu möglich, als auch durch direkte Aktionen gegen Verbreitungskanäle und -akteur*innen. Wir können z.B. politischen Druck aufbauen, damit Verschwörungsideolog*innen nicht auf Podien, in Talkshows, auf Social Media oder in anderen Medien eine Plattform geboten bekommen, um ihre Inhalte zu verbreiten. 
 
Wie die verschwörungsideologische Szene sich selbst bekämpft: Die “2-Komponenten-Lösung” bedeutet übrigens Chlordioxid und Salzsäure. – Screenshot vom 24.01.2022
Zunächst beschreiben wir, welche Zwecke Verschwörungserzählungen erfüllen und wie sie funktionieren (können). Weiter wollen wir die mörderische Gefahr, die aus ihnen entsteht, aufzeigen und abschließend einen kurzen Blick auf die Duisburger Verschwörungsszene werfen.
 
 
Wer Verschwörungserzählungen verbreitet – und warum.
 
Bei der Frage nach dem Zweck von Verschörungserzählungen ist es wichtig, zwischen den Interessen derjenigen zu unterscheiden, die Verschwörungserzählungen in die Welt setzen und den Interessen derjenigen, die an sie glauben. 
Bei ersteren geht es primär darum, eigene Machtinteressen zu befördern – oder schlichtweg um Geld (nicht zufällig bettelt so ziemlich jeder verschwörungsideologische Kanal um “Spenden” oder “Schenkungen). Auch  Neonazis verbreiten gezielt Verschwörungserzählungen, etwa vom sogenannten “großen Austausch”, bzw. etwas ordinärer, von der “Umvolkung”.
 
Rassismus pur als Verschwörungserzählung – Screenshot vom 26.01.2022
 
Hier zeigt sich, dass faschistische Ideologie selbst zentral durch Verschwörungserzählungen funktioniert und verbreitet wird. Sie dienen der klaren “Feindbestimmung“, einem zentralen Merkmal von Faschismus sowie von Verschwörungserzählungen. Im erwähnten Verschwörungsmärchen der “Umvolkung” z.B. wird behauptet, dass Fluchtbewegungen durch (jüdische) Eliten gesteuert würden, um die weiße und christliche deutsche Bevölkerung durch “fremde” Bevölkerungsgruppen zu ersetzen und somit auszutauschen. So werden Menschen, die aufgrund von Not, Hunger, Krieg, politischer Verfolgung und/oder Klimakatastrophen ihre Heimat verlassen müssen, zu “Migrationswaffen stilisiert, die es mit allen Mitteln abzuwehren gilt. Selbst die Geburt nicht-weißer Kinder wird so zur Bedrohung erklärt und der “Volkstod” wird am Horizont erahnt.
 
Das ist alles Codierung!!1! – Screenshot vom 9.4. 2022
Diese rassistische, absurde und unrealistische Vorstellung forderte schon zahlreiche Opfer. So glaubten beispielsweise die Attentäter in Utøya, Christchurch und Halle an den “großen Austausch” und begründeten mitunter durch diesen ihre mörderischen und rassistischen Terrorattentate.
Hier zeigt sich eine weitere Funktion von Verschwörungserzählungen: die Mobilisierung der Anhänger*innen zu konkreten Taten. Die Verschwörungserzählung von einer “Umvolkung” oder dem „Großen Austausch“ ist leider immer wieder Ausgangspunkt für gewalttätige Übergriffe auf als “fremd” gelesene/markierte Menschen im Alltag. Ein anderes Beispiel: Die Verschwörungserzählung der “Lügenpresse” zieht immer wieder Angriffe auf Pressevertreter*innen und Journalist*innen nach sich. Diese mobilisierende Kraft und politische Macht, die sich dadurch entfalten kann, darf nicht unterschätzt werden. Manche Verschwörungserzählungen halten sich sogar jahrhundertelang, auch wenn sie keinen Funken Wahrheit enthalten. Ein weiteres Beispiel: Seit dem 11. Jahrundert hält sich die Behauptung, Jüd_innen würden für religiöse Rituale christliche Kinder ermorden. Das ist und war immer falsch. Trotzdem entzündeten sich an dem bloßen Verdacht immer wieder Pogrome. Hier zeigt sich: solche Beschuldigungen sind nicht nur gefährlich, sondern regelrecht mörderisch. Gewalt wird durch diese Verschwörungserzählungen nicht nur legitimiert, sondern geradezu eingefordert. (Beispiele aus der Duisburger Gruppe, bis hin zur Ankündigung terroristischer Aktionen, haben wir zum Beispiel als Thread auf Twitter veröffentlicht.)
 
Uralte antisemitische Lügenmärchen von Ritualmorden und Satanismus – Screenshot vom 7.3.2022
Heutzutage erlebt die oben angesprochene antisemitische Erzählung in codierter Form einen massiven Aufschwung in der “QAnon”-Bewegung. Dies geschieht unter dem Schlagwort “Adrenochrom”. Auch der brutale Angriffskrieg Russlands in der Ukraine wird über diese und ähnliche Verschwörungserzählungen legitimiert. Nicht nur hier zeigt sich, dass Antisemitismus in den meisten Verschwörungserzählungen mit angelegt ist. 
 
“Guten Abend in die Runde – habt ihr schon von den ausgeweideten Kindern gehört?” – Screenshot vom 7.3.2022
 
Neben der Feindbestimmung spielt auch die Zerstörung der bestehenden bürgerlichen Demokratie eine zentrale Rolle. Eine Demokratie ist auf bestimmte Dinge angewiesen: ein gewisses Maß an gemeinsamer Öffentlichkeit, einen minimalen gesellschaftlichen Konsens über Fakten und Wissen sowie auf die politische Teilhabe der Bürger*innen. Das Vertrauen in Politik, Wissenschaft und Medien, und damit in die Demokratie, wird durch Verschwörungserzählungen gezielt zerstört. Dies treibt eine Polarisierung der Gesellschaft voran. Und nicht nur die Debattenkultur wird zerstört, das Verhältnis zur “Wahrheit” selbst wird verändert: Als wahr wird angenommen, was zum Weltbild des eigenen Lagers passt. Als unwahr wird dagegen alles angenommen, was dem feindlich gegenüberstehendem Lager zugerechnet wird und ihm traut man gleichzeitig alles Böse zu.
 
“Ist doch als Fake enttarnt worden. Zuzutrauen wäre es ihm aber dennoch…” – Screenshot vom 3.3.2022
Wahrheit wird dabei kaum mehr mit Fakten gekoppelt, sondern vielmehr mit der eigenen Gruppenzugehörigkeit. In diesem Klima formt sich die Verschwörungsideologie weiter aus, welche wiederum die Polarisierung der Welt, das heißt ihre konkrete Einteilung in “Gut und Böse”, fordert und fördert. Die bösen vermeintlichen Verschwörer*innen des feindlichen Lagers (“Eliten”, Politiker*innen, “die Presse”, “die Pharmalobby” etc.) stehen dann dem guten “Volk” gegenüber. 
 
 
 
Wer an Verschwörungserzählungen glaubt – und warum
 
Kommen wir nun zum Zweck von Verschwörungserzählungen für diejenigen, die an sie glauben. Bei ihnen geht es insbesondere darum, Kontrolle zuerlangen, vor allem in Zeiten besonderer Unsicherheiten – beispielsweise dem Ausbruch einer Pandemie. Verschwörungserzählungen bieten ihnen einfache Wahrheiten in einer komplizierten Welt und geben dadurch Halt. Auch das selbsterhöhende Gefühl, zu einem Kreis der Eingeweihten zu gehören, spielt hier eine Rolle: Menschen, die sich sozial isoliert fühlen, glauben nachweislich eher an Verschwörungserzählungen. Sie finden im verschwörungsideologischen Denken einerseits eine Erklärungen für ihre Isolation und andererseits eine Gemeinschaft im dort voherrschenden simplen Freund-Feind-Schemata.
 
“Man fühlt sich so hilflos. Man möchte helfen . Aber wie ? Die Leute sind nicht mehr erreichbar ( wie Zombies )” – Screenshots vom 7.3.2022
 
Aber wie genau funktionieren Verschwörungserzählungen? Die meisten Verschwörungserzählungen folgen bei allem komplizierten Überbau einem sehr einfachen Plot: 
 
  1. Es gibt eine feindliche Gruppe (SIE), die UNS Böses will. SIE verfolgen ihre Pläne heimlich.  

  1. SIE stecken hinter verschiedenen unaufgeklärten Verbrechen, Katastrophen oder Missgeschicken, die UNS angeblich zugestoßen sind.  
  1. Damit wollen SIE UNS unterdrücken, versklaven oder vernichten, oder unsere höchsten und heiligsten Ziele sabotieren. 
  1. Aus den Punkten zwei und drei lässt sich eine komplettes Bild IHRES Handelns erschließen.
  1. Es wird Zeit, dass WIR uns mit allen Mitteln zu Wehr setzen.

(Quelle: https://scilogs.spektrum.de/)
 
Im letzten Punkt zeigt sich eine der Gefahren, die aus dieser Art zu Denken entstehen.So erzeugen Verschwörungsmythen eine politische Endzeiterwartung und eine Stimmung des “Jetzt oder nie”. Dies wirkt nicht zuletzt mobilisierend und legitimiert so gut wie jedes eingesetze Mittel. 
 
Dass Verschwörungserzählungen immer mit Vernichtungsfantasien einhergehen, scheint im deutschen Kollektivbewusstsein noch nicht angekommen zu sein.
Denn die Gewaltausübung ist, wie oben schon anskizziert, die logische Konsequenz von Verschwörungsideologien. Die Bedrohungen, um die es in der Verschwörung geht, werden immer bedrohlicher und wachsen stetig in ihrem imaginierten Einfluss. Das verschwörungsideologische Denken lässt keine anderen Erklärungen und Denkweisen als diese zu, die in dem verschwörungsideologischen Millieu vorhanden sind. Es entsteht eine Spirale, die das Denken radikalisiert. Irgendwann wird die Bedrohung als so real imaginiert, dass jedes Mittel recht wird, um gegen das ultimative Böse vorzugehen. Die Gegner*innen, also die nicht Verschwörungsgläubigen, werden dämonisiert. Auch dies legitimiert den Einsatz von Gewalt. Die Außenwelt hat sich im Denken der Verschwörungsgläunigen gegen sie verschworen und demnach gilt es diese Außenwelt zu vernichten.
 
 
Blick auf Duisburg
 
Wenn wir nun auf die Szene hier in Duisburg blicken, sehen wir zwar eine stark geschrumpfte Gruppe von Verschwörungsgläubigen auf den Straßen – aber eine radikalisierte und eingeschworene Gemeinschaft.
 
“Fühlt euch alle beklatscht und wert geschätzt!” – Screenshot vom 25.01.2022
Diese zeigt sich unter anderem im Netz und ist inzwischen in ihrer Gesamtheit als extrem rechts und teilweise gewaltbereit einzustufen. Vernetzungen nach Oberhausen, Essen, Krefeld, Düsseldorf und in andere Städte sind etabliert und die Radikalisierung in den Gruppen verlief teilweise erschreckend schnell. Die dort etablierten Verschwörungserzählungen und -ideologien sind gefährlich, menschenfeindlich und antisemitisch. Und das unabhängig von den bekannten Neonazis, Faschist*innen und Rassist*innen, die sich nichtsdestotrotz immernoch gelegentlich dort blicken lassen.
 
Volksverhetzende antisemitische Äußerungen im Chat – Screenshot vom 24.02.2022
Um den politischen Umgang mit der Corona-Krise geht es inzwischen den wenigsten, wie wir vor einiger Zeit schon auf Twitter dokumentiert haben. Momentan geht es viel um den Krieg in der Ukraine: Angeblich befreie Putin die Ukraine vom “Deep State”. Oder wie ein Chatteilnehmer der Telegram Gruppe von “Duisburg vereint für die Freiheit” es freudig ausdrückt: “Putin jagt das Demokratengesindel”. Der Einmarsch in der Ukraine wird als Beginn einer “Europa-Tour” verharmlost.
 
“Ist doch nett diese Europa-Tour” – Screenshot vom 1.3.2022
 
Immer mehr geben inzwischen auch offen zu, was viele Beobachter*innen längst wussten: es ging ihnen von Anfang an “ums große Ganze”, gegen die “NWO” (eine antisemitische Verschwörungserzählung) und gegen die pluralistische Gesellschaft  als Ganzes. Darüber hinaus werden auch neue Themen gesucht, um den Bewegungsmoment aufrecht zu halten. Was sich dort herausgebildet hat und sich weiter formiert, unterscheidet sich kaum noch von “Pegida NRW”. 
 
 
Angesichts dieser Entwicklung ist es frustrierend und erschreckend, wie wenig Widerspruch es aus der Duisburger Zivilgesellschaft gab und leider immer noch gibt. 
Diese müsste sich zu einer Gesellschaft der Vielen bekennen und dem verbreiteten Rassismus, Antisemitismus und der Wissenschafts- und Demokratiefeindlichkeit eine Absage erteilen. Aber leider müssen wir anscheinend, wie so oft, alles selber machen. Doch auch die radikale Linke tut sich teilweise schwer, klar Stellung zu beziehen. Sei es, weil teilweise selbst antisemitische und verschwörungsgläubige Denkmuster geteilt werden, sei es weil wenig Interesse daran besteht, eine “bürgerliche Demokratie” zu verteidigen.
 
Doch wir müssen uns klar machen, dass es bei den Kampf gegen Verschwörungserzählungen nicht um das Bewahren eines Status Quo geht. Verschwörungsideologie steht einer befreiten Gesellschaft und unseren Utopien von Solidarität und Emanzipation nicht nur im Weg, sondern diametral entgegen. Als Antifaschist*innen und emanzipatorische Linke sehen wir uns deshalb mit einer doppelten Aufgabe konfrontiert: Wir müssen die menschenfeindliche Ideologie bekämpfen sowie das menschenfeindliche System, in dem sie ihren Ursprung hat. Unser antifaschistischer Abwehrkampf gegen Corona-Leugner*innen und Impfverweiger*innen muss Teil des Kampfes um eine solidarische, antiautoritäre und egalitäre Perspektive sein. Packen wir es an!
 
Antifa bleibt Recherche – und Handarbeit!
 
 
 
 

Redebeitrag: Gegen eure Querfront!

Folgenden Redebeitrag haben wir gehalten auf den Kundgebungen gegen den rechtsoffenen “Querdenken”-Ableger “Duisburg GemEINSam stark” bzw. “Duisburg vereint für die Freiheit”. Wir danken den Genoss*innen von eklat ms, dass wir ihre Rede aus Münster als Vorlage verwenden durften.
 
“Wir sind alle eins” – das ist schon seit Anfang der Corona-Proteste ein zentrales Motto der verschwörungsideologischen sogenannten Schwurbler*innen. Diese Losung beschreibt fast schon umfassend den Zusammenschluss aus auf den ersten Blick fast unvereinbaren politischen Spektren und sozialen Milieus, die uns hier seit Wochen jeden Nerv rauben. Hippiesque Lebenskünstler*innen und nach Liebe suchende Duisburger Kleinfamilien reichen im imaginierten Widerstand extrem rechten Parteimitgliedern und hitlergrußzeigenden Nazis die Hand. Dies ist die reale Zuspitzung der Gegensätze, die sich auf den Demos der Corona-Leugner*innen zeigen: hier laufen Menschen, die die Welt mit der Kraft der Liebe heilen wollen, neben Menschen, die ihre Vernichtungsphantasien klar und offen artikulieren.
 
Es wächst zusammen, was auf den ersten Blick unpassend aussieht, aber doch gut zusammen passt.
 
Auffällig sind hier nicht nur die Vielzahl an Verschwörungserzählungen, sondern auch der implizite und explizite Antisemitismus der sowohl auf den Demos als auch in den Telegramgruppen der Corona-Leugner*innen immer wieder zur Schau gestellt wird. 
 
Die Mischung der Menschen die hier wöchentlich zusammenkommt stellt eine Querfront da, die widersprüchlich und absurd scheint. Man könnte fast meinen die Welt stehe Kopf. Aber wer die Querdenken-Bewegung einfach als dumm abtut, macht es sich zu leicht und unterschätzt nicht zuletzt auf fatale Weise das mörderische Potenzial, was sich in ihr verbirgt. Außerdem gibt es keinen Zusammenhang von Intelligenz und dem Zuspruch zu dieser Bewegung.
 
Sie erscheinen aburd, doch die Ideologie ist gefährlich
 
Denoch ist es sicher kein Zufall, dass Esoteriker*innen und Waldorf Anthroposoph*innen sich mit Reichsbürger*innen und Neofaschist*innen zusammentun, um gegen eine vermeintliche Corona-Diktatur zu kämpfen. Denn das gemeinsame Weltbild zeichnet sich unter anderem durch Wissenschaftsfeindlichkeit, durch Vorstellungen natürlicher Reinheit und mystisch-irrationalem Denken aus. Dabei ist es kein weiter Weg von einer vermeintlichen natürlichen Reinheit des Körpers zu der antisemitischen und rassistischen Idee einer homogenen Volksgemeinschaft. Die gefühlte Wahrheit von Fake News rechter Medien geht Hand in Hand mit der gefühlten Wirksamkeit von Homöopathie und esoterischer Rituale. Für beide Phänomene gilt: Komplexe Zusammenhänge, Ungewissheiten und Überforderung wird mit einfachen Wahrheiten und Lösungen begegnet.
 
Verschwörungsideologie und Antisemitismus sind die logische Konsequenz dieses Weltbildes, in dem abstrakte Prozesse nicht mehr begriffen und Widersprüche nicht ausgehalten werden können. Weiter werden Unglücke und Katastrophen nicht als solche begriffen, sondern einzelne Personen oder Gruppen werden dafür verantwortlich gemacht. Man selbst fühlt sich als Opfer böser Machenschaften – und weil man sich selbst als Opfer fühlt, wird jedes Mittel zur Verteidigung legitimiert. Das mörderische Potenzial, was sich hier verbirgt, hatte seinen bisherigen Höhepunkt in dem Mord an Alexander W. aus Idar-Oberstein. Er wurde ermordet, weil er einen Mann dazu aufforderte, eine Maske zu tragen. In ganz Deutschland häufen sich Berichte von Angriffen auf Menschen, die die Corona-Schutzmaßnahmen durchsetzen möchten oder müssen.
 
N icht A n Z wangsimpfung I interessiert
Aber war eine solche Eskalation durch die Corona-Leugner*innen nicht vorhersehbar? Langzeitstudien verweisen schon seit Jahren auf einen relativ hohen Anteil antisemitischer Weltbilder in der Bevölkerung. Und vor dem Gewalt- und dem Gefahrenpotenzial von sogenannten Querdenker*innen haben wir als Antifaschist*innen von Anfang an gewarnt. Dass Verschwörungserzählungen immer mit Vernichtungsfantasien einhergehen, scheint immer noch nicht im deutschen Kollektivbewusstsein angekommen zu sein. Aber wie kann es eigentlich sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Menschen massenhaft solche Weltbilder entwickeln? Wie kommt es, dass tausende Menschen für eine individuelle Freiheit auf die Straße gehen, die darin besteht, das Wohlergehen aller anderen zu ignorieren?
 
Das Freiheitsverständnis von vermeintlichen Querdenker*innen beinhaltet gerade nicht die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft nur funktionieren kann, wenn sich jede*r einzelne von uns ein gewisses Maß an Verantwortung zuschreibt und wir als Einzelne auch für alle anderen Mitglieder der Gesellschaft Sorge tragen. Der Kapitalismus als System ist mit ein Grund für dieses egoistische und unsoziale Verständnis von Freiheit. Der Kapitalismus ist eine Ursache für die Überforderung und Vereinzelung in dieser Gesellschaft. Denn nicht Kooperation und Solidarität, sondern Konkurrenz und Individualismus stehen hier an der Tagesordnung. Individuelle Selbstverwirklichung wird gepredigt, bleibt aber für die meisten unerfüllbar. Profite werden über die Bedürfnisse aller Menschen gestellt. 
 
Und selbst in einer Pandemie handelt dieser Staat nicht nach menschlich-solidarischen, sondern nach ökonomischen Beweggründen. Menschenleben werden gegen die Profite des nationalen Kapitals abgewogen. Der Lockdown umfasste strikte und weitgreifende Regelungen für die Gestaltung des Privaten, während Arbeitsplätze als Infektionshotspots schlichtweg ignoriert wurden. Impfstoff-Patente werden aufrecht erhalten, um die Gewinne von einzelnen zu schützen, während der Virus sich verbreitet, mutiert und die Impfwirkung zunehmend abschwächt. 
 
Als Antifaschist*innen und emanzipatorische Linke sehen wir uns deshalb mit einer doppelten Aufgabe konfrontiert: Wir müssen die menschenfeindlichen Proteste auf der Straße bekämpfen sowie das menschenfeindliche System, in dem sie ihren Ursprung haben. Unser antifaschistischer Abwehrkampf gegen Corona-Leugner*innen und Impfverweiger*innen muss Teil des Kampfes um eine solidarische, antiautoritäre und egalitäre Perspektive sein. Für eine emanzipatorische Gesellschaft, in der niemand Angst vor Armut, Ausbeutung und Diskriminierung haben muss!
Für einen solidarischen Weg aus der Krise!

Extrem rechte Einflüsse bei Corona-Protesten in Duisburg

Die wöchentlichen Proteste, die oft als “Spaziergänge” verharmlost werden, ziehen seit Wochen montags durch die Straßen deutscher Innenstädte. Wie auch andernorts stützen sie sich auch in Duisburg stark auf extrem rechte Strukturen. Das heißt sie werden von Akteur*innen der extremen Rechten mit organisiert, beworben, besucht und radikalisiert. Die Mehrheit der Teilnehmenden in Duisburg gibt sich nach außen hin durchaus Mühe, einen rechtsradikalen Eindruck zu vermeiden. Jedoch sind diese “Distanzierungen” oftmals lediglich oberflächliche Kosmetik, die den antisemitischen und NS-verherrlichenden Unterbau kaschieren soll. Dass dieser nicht zu leugnen ist, werden wir im folgenden Artikel deutlich machen. 
 
 
Aufbau und Struktur der Corona-Proteste
 
Die Duisburger Montags”spaziergänge” haben seit Anfang Dezember massiv an Zulauf gewonnen. Koordiniert und beworben wurden sie zu Beginn vor allem in der Telegram-Gruppe “Wir stehen auf /DU”. Diese Gruppe gehört zu den, laut Eigenaussage, insgesamt über 170 Telegram-Gruppen, die vom Dinslakener Querdenker Stefan Brackmann administriert werden. Brackmann ist prominenter Querdenker der ersten Stunde, Parteigründer der Partei “Die Föderalen”, Anmelder einer “permanenten Demo ab 01.01.2021 in ganz Deutschland, bei sonstiger Anwendung von §20 Absatz 4 des Grundgesetzes” und sieht sich seitdem “im Widerstand”. Weiter waren im Orgateam ein gewisser “Marko” und Dennis Straub, der als Security und  Kontrolleur bei Abellio arbeitet, sich selbst gerne “Der Entsorger” nennt und die Telegram-Gruppe “Duisburg vereint für die Freiheit” und die Facebook-Seite “Gemeinsam für die Freiheit Duisburg” betreibt. Nachdem öffentlich bekannt wurde, dass besagte Facebook-Seite vorher “Duigida” hieß und Straub schon seit Jahren als rassistischer Agitator bekannt ist (Nachzulesen z.B. hier), erfolgte sein Ausschluss aus dem Orga-Team. In der Hauptgruppe “Wir stehen auf /DU” wird sich seitdem Mühe gegeben, Äußerungen von offenem Rassismus, Antisemitismus und Reichsbürger-Ideologie zu unterbinden. Die Ansichten bleiben bei den meisten in der Gruppe und im Orga-Team trotzdem weiterhin vertreten.
 
Als weitere Unterstützer*innen von Brackmann ist die Duisburger Immobilienmaklerin und Verschwörungsideologin Manuela Ceresa zu benennen, die immer wieder als Rednerin und Moderatorin fungiert. Auch Dirk Magnutzki, der mehrere Verschwörungsideologische Telegram-Kanäle betreibt, tritt immer wieder als Redner auf. Die Bundesvorsitzende der Partei “Die Föderalen”, Maren Zaidan, unterstützt v.a. durch die Administrierung der TG-Gruppe. Dort wird restriktiv moderiert, um für das bürgerliche Spektrum attraktiv zu bleiben und neue Mitglieder nicht durch “fortgeschrittene” Verschwörungserzählungen abzuschrecken. Dies ist eine taktische Erwägung und liegt nicht daran, dass man diese Ideologien ablehnen würde. So wird etwa im automatisierten Begrüßungstext der TG-Gruppe extra darauf hingewiesen, dass “spätere Möglichkeiten, wie Friedensvertrag/VV/Souveränität” nicht diskutiert werden sollen. Hier zeigt sich klares Reichsbürger*innen-Vokabular. 
Weiter zeigte sich diese Ideologie beispielsweise bei der Kundgebung am 09. Dezember 2021. Dort nennt der Organisator Stefan Brackmann die extrem rechten „Freien Sachsen“ als Vorbild und Organisator “Marko” benutzt antisemitische Codes und verbreitet haarsträubende Falschinformationen bezüglich der Covid-19 Pandemie
 
In der abgespaltenen Gruppe rund um Dennis Straub und seiner Clique lässt sich dieser Kurs noch klarer erkennen: Dort findet sich offener Rassismus, Queerfeindlichkeit und Antisemitismus, Reichsbürger*innenideologie, Nazi-Vokabular (“Dreckige Volksverräter”) sowie eine klare Gewaltaffinität und Gewaltaufrufe. Trotz des “Ausschlusses” sind diese Leute weiterhin auf den Demos vertreten. Der “Ausschluss” fungierte primär als PR Aktion, ohne tatsächliche Konsequenzen nachzuziehen. So moderiert Straub zum Beispiel auch nach dem “Ausschluss” mit eigenem Megafon neben Brackmann die Auftaktkundgebungen und spielt während der Demonstrationen den Anheizer.
Aus dem selben Spektrum werden in mehreren Duisburger Stadtteilen unangemeldete “Spaziergänge” organisiert. Diese werden von der Polizei geduldet und scheinen gerade für Leute mit mehr Bereitschaft zu “widerständigen” Aktionen ein wichtiges Vernetzungsinstrument zu sein.
 
 
Extrem rechte Einflüsse und Stichwortgeber*innen 
 
Die unzähligen Aussagen, Links und Weiterleitungen in den Telegramgruppen wurden u.a. von den Ruhrbaronen bereits ausführlich dargelegt. Deshalb lassen wir Attila Hildman, Busfahrer Thomas Brauer, Tim Keller, AktivistMann, Lukreta, Q-Anon, Trump und all die anderen digitalen Stichwortgeber*innen mal rechts liegen und schauen uns die Demos vor Ort etwas genauer an. 
 
Auf den vermeintlich harmlosen “Spaziergängen” tummeln sich nämlich militante Neonazis, beispielsweise aus dem Umfeld von PegidaNRW und der Partei Die Rechte. Sie unterstützden die Demonstrationen und bedrohen dabei Journalist*innen und politische Gegner*innen. Schon bei der, damals noch stationären, Kundgebung am 9. Dezember waren nicht nur die bekannte Duisburger Nazi-Aktivistin Andrea Streyer anwesend. Begleitet wurde sie beispielsweise von einer weiteren Person, die schon mehrfach auf Aufmärschen der Partei “Die Rechte” gesehen wurde. Auch die Redebeiträge der Kundgebung hatten es in sich. Es kam wiederholt zu NS-Vergleichen und Holcaustrelativierungen, mit Begriffen wie “Plandemie” und “Great Reset” wurden antisemitisch konnotierte Verschwörungserzählungen verbreitet und der “Osten” und die “Freien Sachsen” wurden als Vorbilder benannt. 
 
Auf der Demonstration am 13. Dezember verharmloste ein Redner den Holocaust, indem er beispielsweise die Impfkampagne mit den menschenverachtenden Taten des Nationalsozialisten Josef Mengele vergleicht. Auch Streyer und ihre Begleitung waren wieder anwesend. 
 
Am 20. Dezember waren der bekannte rechtspopulistische Blogger Jürgen Hans Grimm von PI-News und der langjährige Pegida-Aktivist und AfD-Kanidat für die Bezirksvertretung Hamborn bei der Kommunalwahl 2020 Markus Spank vor Ort. Außerdem wieder Andrea Streyer mit weiteren bekannten Neonazis. 
Aus dem Orgateam und Dunstkreis von Pegida-NRW nahm auch Kevin Strenzke an den Protesten teil. Am 3. Januar bedrohte dieser gemeinsam mit einem weiteren Mann Journalist*innen. Zudem war auch Markus Spank wieder vor Ort.
Aufgefallen sind weiterhin wiederholt Thomas Eckleder und Marcel Schmuck, Kandidaten der neonazistischen Kleinstpartei Die Rechte sowie weitere Aktivist*innen und Unterstützer*innen, wie Adrian Albrecht und einige weitere. Eckleder und Schmuck provozierten am 10. Januar den Gegenprotest, indem sie ohne Maske quer durch ihn hindurch liefen. 
 
Am 17. Januar wurde die Demonstration von Werner B. live gestreamt. Unter dem Youtube-Kanal “Germandefence24” verbreitet B. seit Jahren Livestreams extrem rechter Demonstrationen, v.a. von Pegida NRW. Auf dem Stream sind zwei Personen zu sehen, die T-Shirts mit der Aufschrift FCK NWO, eine klassische antisemitische Verschwörungstheorie, trugen. Ein Mann, der sich lange mit Werner B. unterhielt und neben ihm herlief, provozierte laut mehreren Zeug*innenaussagen den Gegenprotest mit midnestens drei Hitlergrüßen. Anwesend waren weiter erneut Andrea Streyer und Ralf Panek, der auch die Konfrontation mit der Polizei suchte und von einem Beamten weggestoßen werden musste. Vorausgegangen war, das ein Teilnehmer wegen fehlender Maske mit der Polizei aneinander geriet und anschließend in Gewahrsam genommen wurde. Während von der Orga rund um Brackmann, die oft ihr gutes Verhältnis zur Duisburger Polizei betont, versucht wurde zu deeskalieren und die Demo schnell weiterlaufen zu lassen, peitschten Straub und seine Entourage die Menge auf. 
 
 
Beteiligung der AfD 
 
Auch die AfD lässt sich bei den montaglichen Protesten blicken: So hat Sascha Lensing von der AfD Duisburg die Schwurbeldemo am 17.Januar “privat” auf seinem öffentlichen Facebook-Profil beworben. Auch ist er auf Posts von seinem Parteikameraden Andreas Laasch auf der Demo zu sehen. Dies ist gleich doppelt problematisch, da Lensing Polizist ist. Auf einem anderen Bild von Laasch sind Marcel Schmuck und weitere Mitglieder von Die Rechte zu sehen. Markus Spank scheint laut Foto als Ordner beteiligt gewesen zu sein. Zumindest hatte er eine “Ordner”Markierung aus Kreppband auf seiner Jacke. Spank war in der Vergangenheit bereits auf Fotos von AfD Flyeraktionen zu sehen. Heike Betz hat im Dezember zumindest einen Post mit Fotos von einer Coronademo in Oberhausen geteilt, sie scheint diese Aufmärsche also auch grundsätzlich zu unterstützen.
 
 
Ausblick
 
Am 17. Januar ist ein Konflikt offen ausgebrochen, der schon länger innerhalb der Orga-gruppe zu schwelen schien. Im Telegram-Chat von Straub waren nach dem Vorfall um die Ingewahrsamnahme offene Gewaltaufrufe gegen die Polizei zu lesen. So habe man beispielsweise die Polizei angreifen sollen, um den Teilnehmer zu befreien. Offensichtlich wird nun über eine militantere “Strategie” diskutiert. Brackmann hat die Montagsdemo am 24. Januar nun abgesagt – Straub und Co freuen sich und melden nun für Montag den 24.01. selbst eine Demo an. Da die umtriebigsten Hetzer in der “Wir Stehen Auf”-Gruppe gesperrt sind, haben sie sich sogar die Mühe gemacht, alle Gruppenmitlgieder privat anzuschreiben, um “ihren” Aufmarsch am kommenden Montag zu bewerben. Weiter wurde eine “Bekanntgabe” in Form eines vierseitigen PDF Dokuments in den TG-Gruppen verbreitet. Dort werden Strategien zur Aushebelung der aktuellen Coronaschutzverordnung benannt. So sollen die Teilnehmenden beispielsweise Trillerpfeifen sowie genügend Essen und Trinken mitbringen, um somit das Tragen einer Maske zu verweigern. Als technische Maßnahme wird darauf hingewiesen die Handykamera griffbereit zu haben, sobald man das Gefühl habe schikaniert zu werden. Außerdem solle man einen auf 1,5 Meter Länge geklappten Zollstock bei sich führen, um Polizist*innen auf Abstand zu halten. Es gibt noch einen weiteren “kleinen aber effektiven Plan, um […] gegen die Willkür der Behörden anzugehen.” Aus Angst vor möglicher Beobachtung der TG-Chats wird dieser jedoch nicht im Vorfeld bekannt gegeben. Die Diskussionen in den Telegram-Gruppen sind vom Ruf nach Militanz geprägt.
Trotz des offen schwelenden Konflikts wird in dem Papier Zusammenhalt propagiert. So heißt es beispielsweise: “Wir wollen geschlossen gehen und eine Einheit bilden. Das gibt erhebliche Sicherheit und stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Einer für alle und alle für einen.” Es bleibt spannend, wie sich die Teilnahmezahlen entwickeln, was passiert falls die Polizei versuchen sollte die Maskenpflicht durchzusetzen und ob es sich diesmal um einen tatsächlichen Bruch zwischen den beiden Lagern handelt.
 
Warum es sich unabhängig von der Teilnahme oder Nichtteilnahme einzelner Neonazis bei den aktuellen Aufmärschen um im Kern rechte und antisemitische Mobilisierungen handelt, haben wir z.B. in unseren Redebeiträgen deutlich gemacht. Einen davon findet ihr hier.
 
Untenstehend noch ein paar Bilder – wir danken allen Menschen, die sich immer wieder in Gefahr begeben, um Naziaufmärsche und rechte Mobilmachungen zu dokumentieren!
 
 
Richtigstellung:
In einer früheren Version ist uns ein Fehler passiert. Wir haben die Mengele-Vergleiche eines Redners am 13. Dezember fälschlicherweise einem anderen Redner zugeschrieben, den wir hier auch namentlich genannt haben. Der Redner hat uns kontaktiert und auf den Fehler hingewiesen. Als Konsequenz haben wir seinen Namen aus diesem Artikel gelöscht.

Redebeitrag bei Gegenprotest gegen Querdenken am 10.01.2022

Am Montag den 10. Januar 2022 haben wir auf dem Gegenprotest gegen die verschwörungsidologischen “Querdenken”-Aufmärsche eine Rede gehalten, deren Inhalt wir hier dokumentieren:

Graffiti: Fight Querdenken
Das System ist gemein, aber nicht geheim. Fight Querdenken!

Wir befinden uns im dritten Jahr einer gefährlichen Pandemie. Das heißt, wir müssen uns immer wieder mit steigenden Infektionszahlen und neuen Virus-Varianten herumschlagen. Gleichzeitig beobachten wir ein Versagen in “der” Politik, die wirtschaftliche Interessen mal wieder über Menschenleben stellt, wissenschaftliche Erkenntnisse oftmals ignoriert oder instrumentalisiert und auf die Krise weitgehend nur mit spießbürgerlicher Symbolpolitik reagiert. Entweder gibt es autoritäre Antworten, die hauptsächlich sozial und finanziell benachteiligte Teile der Bevölkerung treffen, oder Maßnahmen, die im neoliberalen Sinn an die sogenannte Eigenverantwortung der Bürger*innen appellieren.

Nun können Krisen immer als Chance gesehen werden, um aus vergangen Fehlern zu lernen und um etwas besseres entstehen zu lassen. Und ja, auf den Straßen wird protestiert. Doch leider nicht für einen solidarischen Weg aus der Krise. Die Debatten um mögliche politische Maßnahmen werden von Fake-News, rechte Propaganda und Verschwörungszählungen dominiert. Die Menschen gehen gegen 3G oder 2G, gegen eine vielbeschworene „Spaltung der Gesellschaft“ oder gegen „die da oben“ auf die Straße. Sie denken sie Kämpfen gegen eine vermeintliche Diktatur. Teile von ihnen lehnen Impfungen und wissenschaftlich-basierte Medizin allgemein ab oder sie leugnen gleich die Existenz der Pandemie. Ihr seht, die Themen auf diesen Protesten sind vielfältig. Nur für das gute Leben für ALLE scheint kaum jemand das Haus zu verlassen… Aber ist gibt neben all den Unterschieden auch etwas, was die aktuellen Proteste alle gemeinsam haben.

Die erste Gemeinsamkeit: Durch den massiven Zulauf bei den Protesten kommt es zu einer merklichen Radikalisierung. “Wer mit 1.000 Menschen auf die Straße geht, fühlt sich in der Mehrheit. Wenn es plötzlich der Nachbar ist, mit dem man zusammen demonstriert, fühlt man sich zusätzlich bestärkt” (Pia Lamberty). In den dazugehörigen Telegram-Gruppen wird sich stark um Vernetzung abseits der größeren Demonstrationen bemüht. Es entstehen Untergruppen, Regionalgruppen und Stadtteilgruppen. Das heißt, die Mitglieder verabreden sich auch abseits der großen Termine für ihre „Spaziergänge“. Es geht explizit darum, sich für den “Tag X” zu vernetzen, oder falls Telegram die ganzen Chatgruppen löscht. Die Teilnehmer*innen fühlen sich durch das Gerede von einer imaginierten “Corona-Diktatur” bestärkt. Sie schaffen eine politische Endzeiterwartung und denken im “Jetzt oder nie”. Dies wiederum nutzen sie, um ihre, teilweise auch gewaltvollen, Aktionen zu rechtfertigen. Denn was sollte gegenüber einer nahenden Diktatur nicht gerechtfertigt sein? Und hier kommen wir wieder ins Spiel. Diese gefühlte Ermächtigung muss gebrochen werden. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir heute hier sind und dem selbsternannten Volk zeigen, dass sie eben nicht die Mutigen sind, die für eine schweigende Mehrheit sprechen. Dass sie eben nicht die Mehrheit sind, keine Vollstrecker*innen eines imaginierten Volkes, keinen Held*innen die durch die Weigerung des Maskentragens ein autoritäres System stürzen.

Nun zur zweiten Gemeinsamkeit. Die Proteste stützen sich, wer hätte es anders gedacht, stark auf extrem rechte Strukturen. Das heißt, sie werden von Akteur*innen der extremen Rechten mit organisiert, koordiniert, beworben, besucht, geprägt und radikalisiert. Dies ist auch hier in Duisburg der Fall, wo man sich nach außen durchaus Mühe gibt einen rechtsradikalen Eindruck zu vermeiden. So nennt der Organisator Stefan Brackmann beispielsweise die extrem rechten „Freien Sachsen“ als Vorbild und wähnt sich im “Widerstand”. Organisator Dennis Straub war früher schon Strippenzieher von Pegida und beklatscht Holocaustrelativierungen und Organisator “Marko” benutzt antisemitische Codes und verbreitet haarsträubende Falschinformationen. Auf den Demos tummeln sich militante Neonazis aus dem Umfeld von Pegida und Die Rechte und bedrohen Journalist*innen und politische Gegner*innen. Aber an dieser Stelle sei noch gesagt, dass die extreme Rechte die Demonstrierenden gegen die Corona-Schutzmaßnahmen keinesfalls verführt hat, sondern , dass die extreme Rechte sich nur angedockt hat und die ideologischen Lücken füllt. Dass die rechten Aktivist*innen den gebotenen Raum nutzen um ihre menschenverachtenden Positionen zu normalisieren, sie anschlussfähig zu machen und die anderen Teilnehmer*innen zu radikalisieren. Und hier wird wieder deutlich, weshalb unser Gegenprotest heute so wichtig ist. Wir müssen zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen und Betroffene der Einschüchterungsversuchen helfen, weiter aktiv zu bleiben. Wir wollen den Teilnehmer*innen des Protests vor Augen halten, dass sie nicht die Verfolgten einer Diktatur sind, sondern dass sie Neonazis und Faschist*innen unterstützen, die nichts lieber täten als eine echte Diktatur zu errichten.

Und damit sind wir bei der dritten Gemeinsamkeit der aktuellen Proteste: dem Antisemitismus. Und nicht das hier Unklarheiten entstehen, der Antisemitismus ist nicht einfach plötzlich da, er war nie weg. Er schlummerte in der Gesellschaft, wurde hinter vorgehaltener Hand weitergegeben. Neu ist nur, dass er sich so offen und so laut äußert. Er ist das perfekte Bindeglied zwischen der vermeintlich politisch neutralen Mitte der Gesellschaft und der extremen Rechten. Der Antisemitismus äußert sich in den immer wiederkehrenden unpassenden Vergleichen der Ungeimpften als den „neuen Jüdinnen und Juden“, in den Selbstinszenierungen als „Widerstandskämpfer*innen“, im Gerede von Diktatur, “den globalen Eliten”, dem “Great Reset” und dem Impf-Genozid. Antisemitismus ist in den Verschwörungserzählungen selbst angelegt. Sie handeln stehts von einer kleine Gruppe an geheimen, supermächtigen und zugleich niederträchtigen Menschen. Es gibt Sündenböcke, die alles, was auf der Welt geschieht, planen und steuern. Diesen vereinfachten Welterklärungen gilt es ein analytisches und selbstreflektierendes Denken entgegenzusetzen. Ein Denken, dass Autoritäten hinterfragt und nicht nur das Problem auf geheime Logen verschiebt. Ein Skeptizismus, der vor den eigenen Überzeugungen nicht halt macht. Ein Denken, dass wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptiert. Und vor allem ein solidarisches Denken – und Handeln.

Als radikale, emanzipatorische Linke können wir uns nicht darauf ausruhen, uns impfen zu lassen und uns in der globalen Krise möglichst persönlich verantwortungsvoll zu verhalten. Die Einschränkungen von bestimmten Grundrechten müssen kritisch beobachtet werden. Autoritäre Polizei- und Versammlungsgesetze müssen bekämpft und verhindert werden. Durch die Krise verschärfen sich die sozialen Ungleichheiten gerade massiv, hier müssen wir aktiver sein!

Gegen kapitalistische Verwertung des Gesundheitssektors und gegen Impfpatente, gegen die Abschottung Europas und für offene Grenzen und für sichere Fluchtwege, gegen den körperlichen und psychischen Raubbau an Pfleger*innen, Arbeiter*innen, Eltern und allen anderen, die besonders unter der Krise leiden. Wir müssen uns solidarisch organisieren, um unsere Forderungen durchsetzen zu können und um die Lasten der Krise gerecht zu verteilen!

Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft, in der für alle gesorgt wird und wir alle ohne Angst unterschiedlich sein können.

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