Redebeitrag: Gegen eure Querfront!

Folgenden Redebeitrag haben wir gehalten auf den Kundgebungen gegen den rechtsoffenen “Querdenken”-Ableger “Duisburg GemEINSam stark” bzw. “Duisburg vereint für die Freiheit”. Wir danken den Genoss*innen von eklat ms, dass wir ihre Rede aus Münster als Vorlage verwenden durften.
 
“Wir sind alle eins” – das ist schon seit Anfang der Corona-Proteste ein zentrales Motto der verschwörungsideologischen sogenannten Schwurbler*innen. Diese Losung beschreibt fast schon umfassend den Zusammenschluss aus auf den ersten Blick fast unvereinbaren politischen Spektren und sozialen Milieus, die uns hier seit Wochen jeden Nerv rauben. Hippiesque Lebenskünstler*innen und nach Liebe suchende Duisburger Kleinfamilien reichen im imaginierten Widerstand extrem rechten Parteimitgliedern und hitlergrußzeigenden Nazis die Hand. Dies ist die reale Zuspitzung der Gegensätze, die sich auf den Demos der Corona-Leugner*innen zeigen: hier laufen Menschen, die die Welt mit der Kraft der Liebe heilen wollen, neben Menschen, die ihre Vernichtungsphantasien klar und offen artikulieren.
 
Es wächst zusammen, was auf den ersten Blick unpassend aussieht, aber doch gut zusammen passt.
 
Auffällig sind hier nicht nur die Vielzahl an Verschwörungserzählungen, sondern auch der implizite und explizite Antisemitismus der sowohl auf den Demos als auch in den Telegramgruppen der Corona-Leugner*innen immer wieder zur Schau gestellt wird. 
 
Die Mischung der Menschen die hier wöchentlich zusammenkommt stellt eine Querfront da, die widersprüchlich und absurd scheint. Man könnte fast meinen die Welt stehe Kopf. Aber wer die Querdenken-Bewegung einfach als dumm abtut, macht es sich zu leicht und unterschätzt nicht zuletzt auf fatale Weise das mörderische Potenzial, was sich in ihr verbirgt. Außerdem gibt es keinen Zusammenhang von Intelligenz und dem Zuspruch zu dieser Bewegung.
 
Sie erscheinen aburd, doch die Ideologie ist gefährlich
 
Denoch ist es sicher kein Zufall, dass Esoteriker*innen und Waldorf Anthroposoph*innen sich mit Reichsbürger*innen und Neofaschist*innen zusammentun, um gegen eine vermeintliche Corona-Diktatur zu kämpfen. Denn das gemeinsame Weltbild zeichnet sich unter anderem durch Wissenschaftsfeindlichkeit, durch Vorstellungen natürlicher Reinheit und mystisch-irrationalem Denken aus. Dabei ist es kein weiter Weg von einer vermeintlichen natürlichen Reinheit des Körpers zu der antisemitischen und rassistischen Idee einer homogenen Volksgemeinschaft. Die gefühlte Wahrheit von Fake News rechter Medien geht Hand in Hand mit der gefühlten Wirksamkeit von Homöopathie und esoterischer Rituale. Für beide Phänomene gilt: Komplexe Zusammenhänge, Ungewissheiten und Überforderung wird mit einfachen Wahrheiten und Lösungen begegnet.
 
Verschwörungsideologie und Antisemitismus sind die logische Konsequenz dieses Weltbildes, in dem abstrakte Prozesse nicht mehr begriffen und Widersprüche nicht ausgehalten werden können. Weiter werden Unglücke und Katastrophen nicht als solche begriffen, sondern einzelne Personen oder Gruppen werden dafür verantwortlich gemacht. Man selbst fühlt sich als Opfer böser Machenschaften – und weil man sich selbst als Opfer fühlt, wird jedes Mittel zur Verteidigung legitimiert. Das mörderische Potenzial, was sich hier verbirgt, hatte seinen bisherigen Höhepunkt in dem Mord an Alexander W. aus Idar-Oberstein. Er wurde ermordet, weil er einen Mann dazu aufforderte, eine Maske zu tragen. In ganz Deutschland häufen sich Berichte von Angriffen auf Menschen, die die Corona-Schutzmaßnahmen durchsetzen möchten oder müssen.
 
N icht A n Z wangsimpfung I interessiert
Aber war eine solche Eskalation durch die Corona-Leugner*innen nicht vorhersehbar? Langzeitstudien verweisen schon seit Jahren auf einen relativ hohen Anteil antisemitischer Weltbilder in der Bevölkerung. Und vor dem Gewalt- und dem Gefahrenpotenzial von sogenannten Querdenker*innen haben wir als Antifaschist*innen von Anfang an gewarnt. Dass Verschwörungserzählungen immer mit Vernichtungsfantasien einhergehen, scheint immer noch nicht im deutschen Kollektivbewusstsein angekommen zu sein. Aber wie kann es eigentlich sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Menschen massenhaft solche Weltbilder entwickeln? Wie kommt es, dass tausende Menschen für eine individuelle Freiheit auf die Straße gehen, die darin besteht, das Wohlergehen aller anderen zu ignorieren?
 
Das Freiheitsverständnis von vermeintlichen Querdenker*innen beinhaltet gerade nicht die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft nur funktionieren kann, wenn sich jede*r einzelne von uns ein gewisses Maß an Verantwortung zuschreibt und wir als Einzelne auch für alle anderen Mitglieder der Gesellschaft Sorge tragen. Der Kapitalismus als System ist mit ein Grund für dieses egoistische und unsoziale Verständnis von Freiheit. Der Kapitalismus ist eine Ursache für die Überforderung und Vereinzelung in dieser Gesellschaft. Denn nicht Kooperation und Solidarität, sondern Konkurrenz und Individualismus stehen hier an der Tagesordnung. Individuelle Selbstverwirklichung wird gepredigt, bleibt aber für die meisten unerfüllbar. Profite werden über die Bedürfnisse aller Menschen gestellt. 
 
Und selbst in einer Pandemie handelt dieser Staat nicht nach menschlich-solidarischen, sondern nach ökonomischen Beweggründen. Menschenleben werden gegen die Profite des nationalen Kapitals abgewogen. Der Lockdown umfasste strikte und weitgreifende Regelungen für die Gestaltung des Privaten, während Arbeitsplätze als Infektionshotspots schlichtweg ignoriert wurden. Impfstoff-Patente werden aufrecht erhalten, um die Gewinne von einzelnen zu schützen, während der Virus sich verbreitet, mutiert und die Impfwirkung zunehmend abschwächt. 
 
Als Antifaschist*innen und emanzipatorische Linke sehen wir uns deshalb mit einer doppelten Aufgabe konfrontiert: Wir müssen die menschenfeindlichen Proteste auf der Straße bekämpfen sowie das menschenfeindliche System, in dem sie ihren Ursprung haben. Unser antifaschistischer Abwehrkampf gegen Corona-Leugner*innen und Impfverweiger*innen muss Teil des Kampfes um eine solidarische, antiautoritäre und egalitäre Perspektive sein. Für eine emanzipatorische Gesellschaft, in der niemand Angst vor Armut, Ausbeutung und Diskriminierung haben muss!
Für einen solidarischen Weg aus der Krise!