Gedenkspaziergang 9. November 2021

Gedenken heißt erinnern. Deswegen haben wir am 09. November 2021, dem Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938, zu einem Stolperstein-Spaziergang durch Duisburg-Hochfeld eingeladen. Wir haben den Opfern des Nationalsozialismus (NS) gedacht, Stolpersteine gesäubert und Kerzen und Blumen abgelegt.

Am 09.11.1938 wurden die Geschäfte von jüdischen Inhaber:innen geplündert und zerstört, Synagogen in Brand gesteckt und Jüd:innen verletzt, getötet und in den Suizid getrieben. All dies geschah auch hier in Duisburg. Bis heute sind keine konkreten Opferzahlen dieser Nacht bekannt und wir wissen nur wenig über die Täter:innen. Was wir jedoch wissen ist, dass mindestens 1.406 Synagogen und Betstuben auf dem damaligen Reichsgebiet zerstört und mehr als 1.300 Menschen getötet wurden.
Die Pogrome gelten als Einschnitt in die Geschichte der nationalsozialistischen Jüd:innenverfolgung und können als Scharnier zwischen Ausgrenzung und Vernichtung gesehen werden. Somit stellt die Nacht eine wichtige Eskalationsstufe auf dem Weg in die Shoah dar. Gleichzeitig wird die Rolle der vermeintlich passiven Zuschauer:innen anhand dieser Nacht deutlich. Ihr Nicht-Einschreiten, ihr Schweigen und ihre Passivität hielten als Legitimation für den öffentlichen Gewaltausbruch her. Ihr Verhalten konnte und wurde als Zustimmung gewertet. Und dies, obwohl der “Volkszorn” primär von der SA- und SS-Männern, Parteiaktivist:innen und HJ-Angehörigen durchgeführt wurde. Der einzige öffentlich wahrnehmbare Grund, weshalb Teile der Bevölkerung die Pogrome kritisierte war die Zerstörung von Sachwerten (Möbel etc.). Eine öffentlichwirksame Solidarisierung mit Jüd:innen fand nicht statt. 1930 lebten in Duisburg um die 3.171 jüdische Bürger:innen. 1937 waren es nur noch 1.457 und 1939 lediglich 841.

Auch die Rolle der Polizei Duisburg in dieser Nacht soll nicht verschwiegen werden. So wurde der Polizei am 10.11.1938 um 0:22 Uhr mitgeteilt, “daß ab sofort Aktionen gegen Juden unternommen werden. Hiergegen ist nicht einzuschreiten. Die Aktionen sind im Gegenteil zu unterstützen. Es ist damit zu rechnen, daß Synagogen in Flammen hochgehen.” Im Nachgang meldete die Polizei, dass in Duisburg 25 Geschäfte, 3 Synagogen, 1 jüdisches Gemeindehaus, die Leichenhalle des jüdischen Friedhofs, das Sitzungszimmer der jüdischen Gemeinde und eine Wohnung in Ruhrort zerstört und 60 Jüd:innen festgenommen wurden. Im internen Polizeibericht stand, dass 40 Wohnungen verwüstet wurden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Zahlen nicht zwingend das gesamte Ausmaß der Zerstörung wiedergeben, denn die Zahlen der Täter:innen sind immer mit Vorsicht zu verwenden.

Erinnern und Gedenken zielt nicht nur auf die Vergangenheit ab, sondern Erinnern heißt auch verändern. Die Geschichte von Verfolgten sichtbar zu machen und in der Erinnerung zu behalten ist ein politischer Akt. Die Nazis strebten das Ziel an, dass die Verfolgten vergessen werden, dass ihre Existenz komplett ausgelöscht wird und nichts an sie und ihr Leben erinnert. Dies haben die Nazis jedoch nicht geschafft und wir können den Verfolgten und Ermordeten heute noch erinnern. Erinnern ist somit auch ein Werkzeug, die Gegenwart zu gestalten und die Geschichtsschreibung mitzubestimmen. Diese wirkt sich mit darauf aus, welche Perspektiven in der Gegenwart sicht- und hörbar sind.

Nun zu den Menschen, denen wir bei unserem Spaziergang durch Duisburg-Hochfeld erinnerten: Die Reichspogromnacht galt vor allem jüdischen Menschen, jedoch war das “rote Hochfeld” ein kommunistisch geprägtes Arbeiter:innenviertel – die meisten der hier verlegten Stolpersteine erinnern deshalb an aus politischen Gründen Verfolgte und Widerständler:innen. Aus diesem Grund haben wir auch die Stolpersteine von nicht-jüdischen Menschen mit in den Spaziergang eingebunden.

Provisorische Gedenktafel für Peter Verhaelen

In der Moritzstr. 14 lebten Hugo und Babette Steinweg. Gemeinsam leiteten sie die Firma “Geschwister Levi” auf der Wanheimerstraße 160. In der Pogromnacht zerstörten die Nazis das Geschäft und die Wohnung der Eheleute. Der gelernte Schneider Hugo Steinweg wurde am 11. Dezember 1941 in das Konzentrationslager (KZ) Riga deportiert und dort ermordet. Auch Babette wurde in das KZ Riga deportiert und kehrte nicht zurück.

Eine weitere Person, der wir gedachten, ist Peter Verhaelen. Er beteiligte sich mit 19 Jahren gegen Ende des 1. Weltkriegs am Boykott der Matrosen und Arbeiter, welcher lediglich zum Waffenstillstand und zum Ausrufen der Rublik führte. Ein Überfall auf eine Matrosenunterkunft traumatisierte ihn,unter den Folgen litt er sein ganzes Leben. Verhaelen war ein Gegner des Naziregimes, was schließlich dazu führte, dass er auf Betreiben seiner Arbeitgebers, der Duisburger Kupferhütte, in eine psychiatrische Anstalt geschickt wurde. Dort wurde im eine “Schizophrenie” “diagnostiziert”. Am 18. Mai 1936 wurde er trotz heftigem Widerstand zwangssterilisiert. Am 8.Mai 1937 wurde er in der “Heil-und Pflegeanstalt” Bedburg-Hau in “Schutzhaft” genommen, da seine Unterstützung einer jüdischen Familie an die Gestapo verraten wurde. Am 8. März 1940 wurde Verhaelen im Rahmen der T4-Aktion mit 323 weiteren Patient:innen in Spezialbussen nach Brandenburg an der Havel transportiert und dort vergast. Der Stolperstein für Peter Verhaelen wurde am 08.10.2012 an der Duisburger Haltestelle Marienhospital verlegt. Seit Oktober 2019 wurde der Stolperstein dort nicht mehr aufgefunden. Deshalb hier unsere Forderung an die Stadt Duisburg: ersetzt den Stolperstein für Peter Verhaelen!

An der Paulusstr. 9 liegt der Stolperstein für die Eheleute Adele und Noe Cohnen. Zusammen führten sie ein Manufakturwarengeschäft “Geschwister Breuer” in Duisburg Hochfeld in der Wanheimerstraße 127. Zuvor führte Adele das Geschäft gemeinsam mit ihrer vier Jahre hüngeren Schwester Henriette. Am 10. November 1938 wurde zuerst das Geschäft der Cohnens und danach ihre Wohnung zum größten Teil zerstört. Im Anschluss wurde das Ehepaar zu Verhören abtransportiert und wurde hier vermutlich gefoltert. Laut den Angaben eines Hausbewohners seien die Cohnens bach Tagen apathisch und verängstigt von den Verhören zurückgekommen. Am Neujahrsmorgen 1939 wurden sie tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Wahrscheinlich begingen sie als Folge des Pogroms Selbstmord.

Stolpersteine des Ehepaares Cohnen

An der Wanheimerstr. 74 gedenken wir Chaja und Emma-Anna Ajsenberg. Chaja emigrierte 1933 mit ihrer Tochter Emma-Anna nach Belfien. Hier wurde sie am 3. Dezember 1942 in das Sammellager Mecheln und nur kurze Zeit später in das KZ Auschwitz deportiert. Bei Kriegsende wurde sie für tot erklärt. Emma-Anna wurde mit 18 Jahren im August 1942 deportiert und nur wenige Tage später ermordet.

Auf der Wanheimerstr. 30 lebte Hanni Toni Fruchter. Sie wurde im Juni 1913 geboren und war im sozialistischen Schüler:innenbunnd SSB, der Arbeiter:innenhilfe und der Roten Hilfe aktiv. Am 23. April 1933 wurde sie nach Polen ausgewiesen. Die Nazis ermordeten sie in Auschwitz.

Stolperstein von Katharina Sennholz

Katharina Sennholz kam 1902 zur Welt. Sie war Arbeiterin, politische Aktivistin der KPD und wurde von Freund:innen Käthe genannt. Am 01. Februar 1933 sie von der SA erschossen. Die Ermittlung der Täter*innen blieb erfolglos. Sie war eines der ersten Todesopfer der Nazis in Duisburg.

Die Eheleute Frieda und Simon Frost wohnten auf der Heerstraße 118. Im Oktober 1938 wurden beide von der Gestapo verhaftet und am 28. Oktober mit einem Sonderzug nach Polen abgeschoben. Simon gilt als verschollen und Frieda wurde am 31.12.1945 für tot erklärt.

Stolpersteine von Simon und Frieda Frost (Bild von Twitter)

Fanny Menke lebte auf der Johanniterstr. 8 und war mit Heinrich Menke verheiratet. Am 15. September 1944 wurde Fanny gewaltsam aus ihrer Wohnung verschleppt und in ein Zwangsarbeiter:innenlager deportiert. In diesem Lager Ammendorf bei Halle an der Saale wurde sie am 13. Januar 1945 ermordet. Damit war sie einer der zahlreichen Opfer der letzten planmäßigen “Judenaktion” der Nazis, etwa ein halbes Jahr vor Kriegsende. Diese Aktion verfolgte das Ziel jüdische Ehepartner:innen zu ermorden, welche mit nicht-jüdischen Deutschen verheiratet waren.

Leider wissen wir nur wenig über die Biographien der Menschen, welcher durch die Stolpersteine gedacht wird. Häufig sind nur die Geburts- und Ermordungsdaten bekannt. Gerne würden wir ihnen persönlicher gedenken, während des Spaziergangs etwas darüber erzählen können, was die Personen mochten und was sie ausgemacht hat. Das dies aufgrund der dürftigen Datenlage nicht möglich ist bedauern wir sehr. Dennoch wollen wir ihre Namen nennen und ihnen gedenken, auf dass sie nicht vergessen werden.

In Duisburg wurden insgesamt um die 300 Stolpersteine verlegt. Wenn Euch einer begegnet, nehmt Euch doch mal die Zeit, um Euch über das Schicksal der Menschen zu informieren.

Auf das die Opfer nicht vergessen werden! Kein Vergeben – kein Vergessen! Erinnern heißt kämpfen.